Les périphériques vous parlent N° 2
HERBST 1994
S. 33-36
deutsch
diese Seite in französischer Sprache

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 Argumente und Vorschläge 
nach Lebensräume
nach Die Labilität/Autonomie lernen
nach Professoren / Studenten : Akteure oder Interpreten ?
nach Die Werte der Vergangenheit

Universität, von der Durchgangsstation zum Lebensraum

Die Gesellschaft sucht im Zickzack nach einem wirksamen Ausbildungssystem. Die aktuellen Veränderungen lassen glauben, dass das Ausbildungssystem, und besonders die Universität eher einen Vorteil davon hätte, Piloträume zu schaffen, wo man sich auf die Umformungen der Arbeits- und Sozialwelt vorbereiten kann, als sich dem Realismus des Marktes zu beugen.

Mehr Geld und Mittel verlangt man für Universitäten und Schulen. Sicher. Aber wozu ? Die ersten kommerziellen Universitäten öffnen schon ihre Tore, um die zukünftigen Elitekorps von Lehrern und Studenten zu bilden. Aber welche Art von Zukunft wollen wir ? Ein qualitatives Ausbildungsprojekt zu erstellen, in dem jeder seine Rolle zu spielen hat, erscheint uns als das einzige Mittel, uns darauf vorzubereiten, den schwierigen Zeiten entgegenzutreten, die der CIP und alle Sparmaßnahmen ankündigen, die sich sicher noch vervielfältigen werden.

In einer Epoche, wo man uns sagt, dass die Umformung der Berufe (oder das Entstehen neuer Berufe) schneller vorangeht als die Fähigkeit der Individuen, sie auszuüben, kann die Universität sicher nicht diese Entwicklung übersehen. Sie muss ihre eigentliche Berufung wiederfinden, von der viele es gerne sehen würden, dass sie sie im Namen der „Realität des Marktes” endgültig aufgibt.

Als ob die professionelle Aktivität, „der Beruf”, vom Leben getrennt wäre ! Als ob die Universität nicht wüsste, dass sie die Studenten immer mehr auf eine im Wandel befindliche Welt vorbereiten muss. Als ob sie nicht wahrhaben wollte, dass „die grauen Zellen” immer mehr zum Rohmaterial der Zukunftswirtschaft werden. Ja, all dies ist ein Problem.

Sicher ist Lernen des Studenten Pflicht. Doch um zu lernen, „muss man handeln”, sagt richtig Nietzsche. Die Universität lehrt nicht, zu handeln. Handeln zu lernen sollte das erste Ziel des Studenten sein.

Die kurze Frist drängt zum konjunkturellen Realismus und zur Suche nach Rezepten, um um jeden Preis zu retten, was zum Untergang verurteilt ist. Sie kann somit nur zu einem „ständigen Mangel an Vorbereitung” der Studenten auf die Arbeitswelt und das soziale Leben führen. Wenn man kurze Frist an kurze Frist reiht, macht man keine Politik, oder die Politik des Schlimmsten.

Studenten, Professoren, Schüler und Arbeiter haben keine andere Wahl, als die Probleme, die ihre Ausbildung betreffen, auf lange Sicht zu betrachten. Somit hat die Universität die Pflicht, die „menschliche” Bildung der Studenten mit in Betracht zu ziehen. Sie muss sie in ein Forschungs- und Lehrprojekt mit einbeziehen, das die Grundprobleme mit in Betracht zieht, die die Stellung des Menschen im sozialen und wirtschaftlichen Rahmen betreffen.

Dies sind konkrete Probleme, die Objektiv Jugend der Debatte unterbreiten möchte. Insbesondere glauben wir, dass es von allergrößter Wichtigkeit wäre, dass Professoren und Studenten zusammen die Möglichkeit erwägen könnten, im Rahmen der Universitäten einen Raum für die Ausbildung und Forschung zu schaffen, die den aktiven Menschen direkt betrifft. Doch was bedeutet das ?


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Lebensräume
nach Die Labilität/Autonomie lernen
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Lebensräume

Wir stellen uns einen Forschungs- und Ausbildungsraum nicht als einen Raum vor, der auf das know-how begründet ist, wie es alle Universitäten programmieren ; z.B. geht es uns nicht darum, eine neue Soziologie- Anthropologie- oder eine ähnliche Fakultät zu gründen. Für uns handelt es sich vielmehr um einen Raum, wo man ein Forschungs- und Ausbildungssystem einrichten kann, das sich mit der Problematik des know-who befasst. Insbesondere ein „know-who” im Rahmen der Labilität.

Viele Verantwortliche und Politiker stellen sich die Welt immer noch als eine soziale und produktive Pyramidalstruktur vor, obwohl diese Struktur veraltet und kaum dazu geeignet ist, z.B. einen Markt zu beliefern, der sich immer mehr auf „Qualitätsproduktion” einstellt. Dieses Projekt verursacht „von selbst” die Krise des Marktes, der auf dem Massenkonsum beruht.

Andererseits neigen viele Unternehmer und Politiker dazu, Labilität und Unsicherheit in einen Topf zu werfen. Für sie sollte man die Labilität als eine zeitweilige Schwierigkeit ansehen, einen Zeit/Raum, wo jedes „Personal” Opfer bringen müsste. Das ist natürlich eine Täuschung. Man kann sich der Labilität sicher nicht durch irgendwelche Opfer, durch die Verunsicherung eines immer größeren Teils der Bevölkerung oder durch die Aufrechterhaltung eines Status quo entgegenstellen. Das kann sie im Gegenteil nur verstärken. Nur wenn man den Wirtschaftspartnern die Möglichkeit, d.h. Aktionsräume und -mittel gibt, um sich als Menschen zu formen, die sich in den komplexen Situationen bewähren können, die die Zeitentwicklung auferlegt, kann Labilität etwas Anderes als Lebensunsicherheit bedeuten. Aus dem Problem, wie man der Labilität im Berufs- Sozial- und Kulturbereich begegnen kann, müssen wir eine Gelegenheit machen, die Persönlichkeit jedes Einzelnen und den wechselseitigen Austausch zu entwickeln.

Wir dürfen nicht zögern, diese „Lebensräume” zu schaffen. Keine Institution kann sich an Stelle des Willens aller, der Studenten, der Professoren und anderer setzen, die sich materiell in der Universität befinden. Es hängt von ihnen ab, ob die Universität sich ändert oder bleibt, wie sie ist.


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Die Labilität / Autonomie lernen
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Die Labilität

Labilität ? Es handelt sich hier wohlverstanden nicht darum, zu wissen, ob die Welt von Natur aus stabil oder labil ist. Diese Frage überlassen wir Wissenschaftlern und Philosophen. Wir sagen, wie man es fast überall feststellen kann, dass unsere Epoche in vielen Bereichen als labil angesehen wird. Insbesondere erzeugt die schnelle Entwicklung der Berufe, von der wir schon gesprochen haben, im Rahmen der Berufsausübung eine Art von Labilität, die eine steigende Anzahl von Personen betrifft. Wir begnügen uns daher, zu sagen, dass die Labilität Bestandteil unserer Epoche ist, dass sie zum Teil durch die Beschleunigung der Produktionsbewegung, die die neuen Technologien erzeugt haben, begründet ist. Dadurch wurde die Arbeitsorganisation vollständig umgewälzt, aber den Denkgewohnheiten fällt es immer noch schwer, sich den vielfältigen, schwierigen Forderungen anzupassen, die aus den Wandeln hervorgehen, die die neuen Produktionsmethoden erzeugt haben. Es handelt sich u.A. um die Verantwortungsteilung und um die Erarbeitung einer Kultur, die mit den Bewegungen der Epoche in Phase ist. Reaktions- und Organisationsfähigkeit, die Fähigkeit, der schnellen Bewegung der Zeit und dieser Labilität Stirn zu bieten, sind nicht von sich aus gegeben, das kann und müsste man lernen. Aber dies ist genau das Problem : Wie kann man lernen, in einer labilen Umwelt zu handeln und sich zu verhalten ?

Autonomie lernen

Was können wir tun gegenüber der Verzerrung, in der wir an der Universität leben, gegenüber Studiengängen, die mit der Welt und ihren vielfältigen Wirklichkeiten nichts zu tun haben ?

Die Welt verändert sich ; das muss die Universität wissen. Aber heute bereiten die Studien nicht auf die in Umwälzung begriffene Arbeitswelt vor. Ausbildung hat oft keine Verbindung mit der Wirklichkeit. Sie macht Masse und stapelt sich auf. Wir fordern, dass die Ausbildung Studenten auf das Handeln durch Erkenntnis vorbereitet. In dieser Perspektive würde die Universität für den Lernenden der Schlüsselort, wo er seine Autonomie ausüben kann.

Es wird viel wichtiger, sich mit seinem Beruf zu entwickeln und Wenden im Rahmen des ständigen Wandels der Epoche einzuleiten, als im Rahmen von bald überholten Spezialitäten kompetent zu sein.


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Professoren / Studenten : Akteure oder Interpreten ?
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Professoren / Studenten :
Akteure oder Interpreten ?

(Auszüge aus Federica BERTELLI : « Des misérables salles qui projettent une image trop blanche », in Les périphériques vous parlent Nr. 0, April 1993)

Studenten, Professoren und Ausbilder müssen in einer neuartigen pädagogischen Beziehung Verantwortung auf sich nehmen. Der Student ist kein Wissens-„Schwamm”, und der Professor nicht das Wissens-„Echo”. Professoren und Studenten sind nicht die Interpreten DES Wissens. Nur eine Pädagogie, die jedem nach seiner Persönlichkeit zu handeln erlaubt, kann wirkliche Berufswege eröffnen.

Wir wollen Studenten- und Professorengruppen gründen, um die Frage zu stellen : Was soll die Lehre lehren ? Warum und wie lernen wir ? Professoren und Studenten : Akteure oder Interpreten ?
 
 

So wie die Vorlesungen heute aussehen, begnügt sich der Professor meistens damit, nur der Interpret eines Autoren zu sein. Er materialisiert die Ideen und Gedanken des Anderen, er versucht „zu vermitteln”, was der Autor sagen wollte. Geht er nicht manchmal soweit, vorzugeben, in einem Text oder in den Ideen des Autors das Spiel seiner Vorhaben zu entziffern, das, was er sagen wollte, was er gesagt hat, ohne es zu wollen, was er vor sich selbst versteckte, was er dachte, „als er sagte, was er sagte”, was er in letzter Instanz mitzuteilen versuchte ? Insofern macht das Verhältnis zu einem in der Festigkeit seiner Kriterien und Bezugspunkte erstarrten Wissen keinen Unterschied zwischen Professor und Student ; der Student lernt nur, die Interpretation des Professors seinerseits wiederzukäuen und zu verewigen.

So gesehen hieße Ausbildung sowohl von Seiten des Ausbilders wie des Auszubildenden nichts anderes als von einer Generation zur anderen „die unveränderlichen Daten des Wissens” und alle Wahrheiten der Autoren weiterzugeben.

So arbeiten Professoren und Studenten zusammen in einem Interpretenverhalten, das ihre Persönlichkeit vernichtet, die Möglichkeiten einer persönlichen Erarbeitung zerstört und das Feld vorgegebenen Kriterien und gesicherten Kenntnissen überlässt.

Demgegenüber bedeutet die Aktivität eines Akteurs das Verfolgen eines Zieles, das man nie erreicht, eine ständige Eroberung, eine dauernde Entwicklung, eine sich ausweitende Zukunft.

Wäre es nicht vorteilhafter, wenn der Professor zeigt, was er gelernt hat, wenn er seine Lehre mit einer persönlichen Forschung verbindet ? Ein derartiges Vorgehen würde dem Studenten erlauben, seinen eigenen Standpunkt, seine Ideen zu entwickeln und seinerseits von dem, was er lernt heraus eine Produktion zu beginnen. Die Interaktion zwischen Professor und Student erweitert das Produktionsfeld, der Ausbilder lernt und „der Ausgebildete” lehrt.

Als Akteur verwechselt der Professor nicht Wirklichkeit und Darstellung ; er bezieht sich nicht auf REALITÄTEN und absolute Werte ; er interagiert stattdessen mit jedem Studenten. Die Arbeit findet in der Gegenwart gemäß der Möglichkeiten und der Methoden jedes Einzelnen statt ; konkrete Vorgänge ersetzen festgelegte Strukturen und Interpretationsarbeiten.

Nur ein Professor, der sich und die Studenten in eine eigenverantwortliche Produktion und Arbeitsmethode einbeziehen kann, wird eine eigenverantwortliche Entwicklung hervorrufen.


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Die Werte der Vergangenheit

Die Werte der Vergangenheit

Wir müssen die Werte der Vergangenheit zurückweisen, wenn sie sich als „Idealbilder” darstellen. Die Werte der Vergangenheit sind Mittel und Werkzeuge, die dem Fortschritt des Lebens oder dem Fortschritt in seinem Leben, was dasselbe ist, zunutze werden können.

Absolute Erkenntnisse sind nutzlose Erkenntnisse. Lernt, zu relativisieren. Lernt, Ideen zu benutzen. Ideen sind dazu da, verausgabt zu werden. Verausgabt euch, Gedanken sind dazu da.

Die Werte der Vergangenheit können in einer Beziehung mit den Professoren und Studenten ihre ganze Jugend bekommen. Insofern sind es Werte. Sie wurden nicht aufgestellt, um uns zurückzuhalten, sondern damit wir weiter gehen.

Ein Platz, wo man Erkenntnisse produziert

Wir müssen fordern, dass man in der Universität nicht nur Wissen übermittelt, sondern auch Erkenntnisse produziert.

Wissen und Ausbildung sind keine Handwerksprodukte, die man schlucken muss. Sie sind vor allem Gebrauch, Praxis, ein ständiges Wieder-in-Frage-Stellen. Daher muss die Universität ein Ausbildungsort werden, der ein produktives Verhältnis zum Wissen erlaubt und ihm eine ganz andere Rolle gibt : Die Studenten in eine Dynamik einzubeziehen, die ihnen Aktionsfelder eröffnet.

Die Unwissenheit selbst muss man relativisieren. Von unserem Wissen ausgehend können wir uns „ausdenken”, was wir nicht wissen. Wir haben oft feststellen müssen, dass diejenigen, die wenig wissen, glauben, dass sie ein weites Wissensfeld beherrschen, und umgekehrt, dass die, welche „relativ” viel wissen - GODARD sagte : zwei oder drei Dinge - ohne Zögern ihre Unwissenheit zugeben. Genau die sind es, die „zum Wissen treiben”, mit diesen wollen wir unsere Jugend suchen, denn ihre Begeisterung für das Wissen lässt sie die Konsequenzen ziehen aus dem, was sie gedacht, gesagt und getan haben.

Mit jedem Professor sind wir bereit, die weitestgehenden Beziehungen anzuknüpfen, wenn er uns sagt : „Was ich (darüber) gedacht habe, was ich (darüber) gesagt habe, was ich (daraus) gemacht habe, veranlasst mich jetzt, zu suchen, was wir zusammen denken, sagen, tun können”. Die Werte, die sie uns so übermitteln, sind keinen sterilen Texte, die die neuen Zeiten überdecken, sondern Aktionsmittel, um der Gegenwart zu helfen, sich eine Jugend zu geben. Und diese Jugend wird unsere eigene, sobald wir ihr selbst Bestand geben.

Außerdem werden die Werte der Vergangenheit nur dann annehmbar und nützlich, wenn man sie wieder auf ihren Platz, d.h. in Frage gestellt und auf dem Schauplatz der gegenwärtigen Aktionen „ins Spiel” gebracht hat, wenn sie auf den wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und anderen Ebenen Werkzeuge der menschlichen Aktivität geworden sind.

Nachdem dies klargestellt ist, können wir nun weiter gehen. Wir kommen alle, ob Kinder, Eltern, Professoren, Gymnasiasten und Studenten, aus einer anderen Vergangenheit, aber vor uns liegt dasselbe Morgen. Dies ist unsere Jugend, die wir zusammen machen müssen, jeder mit seinem Alter, seinen Projekten, mit seinen Eigenarten.


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