Les périphériques vous parlent Nr. 4
WINTER 1995/1996
S. 18
deutsch
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Die Pariser Stadtplätze werden heutzutage selektiv geplant, um die Passanten zu filtern. Wie erzeugen die Leute gegenüber dieser Strategie durch ihr Verhalten, ihr Wort, ihre Geste, ihren Gesang öffentliches Gelände...
Wie kann man manche Plätze in Besitz nehmen und diese Aneignungen und Forderungen begünstigen ?


Des Fakirs Ruheplatz

 

Strategien des Stadtdesign

Ergonomie : vom gr. ergon, Arbeit, und nomos, Gesetz, wissenschaftliches Studium der (psychologischen und sozial-wirtschaftlichen) Arbeitsbedingungen und der Beziehungen zwischen Mensch und Maschine.


Aufstützer in der U-Bahn

Ladenfront mit Granitstiften

Photos : Gilles PATÉ

Weiterhin wird der Ausdruck Ergonomie gebraucht, um Normen für die Beziehungen der Körper mit dem Stadtmobiliar zu bezeichnen : wie können sich Personen aller Art bequem auf eine Parkbank setzen oder nicht abstürzen, wenn sie sich über ein Brückengeländer lehnen ? Doch heutzutage wird die ergonomische Norm von anderen Beweggründen überbestimmt : das Stadtmobiliar darf nicht mehr quer benutzt werden, das öffentliche Gelände darf nicht mehr von „Unerwünschten besetzt” werden. Das Stadtdesign entwickelt sich somit in seinen Formen selbst, um bestimmte Stellungen zu verhindern, namentlich die liegende Stellung : die Bänke und Sitzgelegenheiten werden individualisiert, sie werden schmal und ihre Sitzfläche geneigt, ihre Oberfläche wird gleitend. Es hat wenig Bedeutung, dass diese neuen Bänke für kleine oder ältere Personen nicht mehr bequem sind : Ihre Funktion ist nicht mehr ergonomisch, sie ist selektiv.

Das Stadtmobiliar ist der sichtbare Teil des planifizierten Stadtraumes. Zeichen einer allgemeineren Strategie. Durch eine exakte Raumkontrolle vernichten Designer, Architekten und Landschaftsplaner alle Ecken, alle toten Winkel der Stadt. Die Obdachlosen, Bettler, Menschen am Rande der Gesellschaft, dürfen sich nirgends mehr verschanzen können. Sie dürfen sich nicht einmal mehr an den Marksteinen des sogenannten öffentlichen Geländes selbst festhalten können : sie rutschen ab. Die „Nicht-Passanten” gehen somit zu weniger kontrollierten Stätten, wo es noch möglich ist, dem hygienistischen Besenstreich zu widerstehen und ein Hindernis zu sein. Im meistgeplanten Raum, um die großen Sehenswürdigkeiten, kann nur jemand, der Fakirsfähigkeiten besitzt, diese ergonomische Ordnung umgehen. Es ist ein Stellungskrieg. Auf der Erde, auf Granitstiften schlafen, oder weitergehen. In diesem Zusammenhang ist es bereits ein Widerstandsakt, einfach ein benutzerfreundliches Mobiliar zu schaffen. Noch mehr widerspräche ein Vielzweck-Stadtmobiliar der aktuellen Strategie. Unter Vielzweckmobiliar verstehe ich nicht die Art von ausziehbarem Mobiliar der engen Kleinküchen, sondern Mobiliar, das man sich auf vielerlei Art zu eigen machen kann, spielerisch und funktionell, angepasst an spezifische Zusammenhänge. Das Feld ist weit geöffnet.

Gilles Paté


Zeichnung : © Neufert

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Les périphériques vous parlent, zuletzt bearbeitet am 3. Juli 03 von TMTM
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